Pop-Musik und Musik-Pop

für Groove, September 2022
DJ Fucks Himself – Weisse Weste EP (Natural Positions)

Verspielte Breakbeats von Niklas Fucks sind am Hineinkommen. Die Vier-Track-EP mit zwei Digital-Exclusives bricht runter mit „Café del Mardcore”, unterbietet teuflisch lächelnd jeden Friseursalon-Wortwitz, um sich bei 148 Schlägen in der Minute kurz über Klingelglöckchen lustig zu machen, bevor die superhochpetitchten Stimmen schwirren.

„Dream Team” hingegen verschränkt Flöten und Footwork, eingehüllt in Sternenstaub versandet die Suche nach der Zählzeit im schwarzen Nichts, das vielleicht ja weiß ist.

„Ausgefallen” ist ausgefallen scharf produziert. Rund rollen die Breaks, die WahWah-Gitarre schiebt sich plastisch in die Landschaft und die Maschinenbeats federn. Mit „Take It” wackelt ein hinternfreundliches Electro-Teil hinterher, jpeg.love, Co-Boss bei Raiders Records, remixt sich für die Digitalveröffentlichung „Dream Team” in eine Rave-Euphorie. UrbnMowgli geht für den „Take It”-Remix die Fuckparade suchen, so ranzig schnoddert es hier rum. Also: alles cool, klar, alles wunderbar.

für Groove, September 2022
Shiken Hanzo – Eternity Of Echoes (Incienso)

Shiken Hanzo ist nach wie vor besessen mit dem Phänomen des Samurai und dessen Geschichte. Das beginnt mit dem Pseudonym des Londoner Breakbeat-, Drum’n’Bass- und Industrial-Produzenten, der eigentlich Ryan Fearson heißt. Zu seiner Sound-Ästhetik passte auf bisherigen Veröffentlichungen jeweils die unaufgelöste Spannung zwischen Aktion und Besinnung, zwischen hell und dunkel.

Auf der 4-Track-EP „Eternity Of Echoes“ jedoch fällt er eine Entscheidung: Von Anbeginn an, der hier „Darkest Entities“ heißt, steht er auf der ungemütlichen Seite. Die Flächen dräuen wie böse Kampftiere in Fantasy-Verfilmungen, und selbst der rollende Breakbeat wirkt wie ein Flug in die Düsternis. „Eightfold Blessing of Amaterasu“ öffnet sich ein wenig dem Lichten, immerhin wird die Sonnengöttin in Japan „Amaterasu“ genannt, doch bereits im darauf folgenden Titelstück fauchen wieder die Snares, unken die Basslines von dunklen Ahnungen, werden Ketten geschmiedet.

Der klingenscharfe Jumper „The Reaping“ schließlich ist gut vorstellbar als Soundtrack einer koreanischen Neuverfilmung von „The Shining“. Dunkel, doch exakt.

für Groove, September 2022
Om Unit – Acid Dub Studies II (Om Unit)

Om Unit macht es wieder und übt sich in Minecraft Dub. Eine Freude, denn der erste Teil der Acid Dub Studies gehörte im Jahr 2021 zum Besten, was es im Hardcore Continuum an Veröffentlichungen gegeben hatte, das „Bristol Theme“ sicher zu den Signature-Stücken des Jahres.

Jim Coles aus London bewegt schon seit über einer Dekade im Feld der Breakbeats aller Tempi. Mit Veröffentlichungen auf Exit, Planet Mu und Metalheadz lotet er nun die Möglichkeiten des Selbst-Publizierens aus und nutzt dafür vor allem die Plattform Bandcamp, wo er bereits die erste Folge der „Acid Dub Studies“ ohne Label herausgab – so erfolgreich, das selbst das in diesem Frühjahr nachgereichte „Versions“-Album mit Remisen von Deadbeat oder CV313 bereits vergriffen ist.

„Acid Dub Studies II“ legt davon unbeeindruckt nach: das Leichte, das Spielende schwebt über dem Album. „Melted“ beginnt mit irisierenden Spiralnebeln, um von „Camo“ fortgeführt zu werden, einem Digi-Dub, dessen Sing-Melodie auf Panflöten eingeträllert kommt anstatt auf einer Melodika. Das volle Spektrum der „Acid Dubs“-Serie entfaltet sich auf Stücken wie „Strange Brew“: enorme Breite in den mittleren Höhen-Frequenzen, Sub-Bässe, und die blibbernden, blubbernden Sounds des Roland TB-303, der einst schon Acid House den Namen gab. Dabei zieht Coles die Skizze dem High End vor, „Pursuit“ etwa wäre durchaus vorstellbar mit stärkerer Trennschärfe in den Frequenzbereichen, doch das würde eben auch den Produktionsfloww verkomplizieren: so kommt sie eben zustande, die „Minecraft“-Ästhetik. Spielen geht über Studieren. Was Tracks wie „Acid Tempo“ zu Lieblingsstücken macht.

Die Track-Länge ist wie bei einem frühen Beatles-Album zwischen zweieinhalb und dreieinhalb Minuten, was die Frage aufkommen lässt, ob diesem Album eine Voice-Version folgen wird.

für Groove, September 2022
Sarah DavachiTwo Sisters – Chamber Music for Consorts in Yellow, Green, and Bronze (Late Music)

Mit ihrem neuen Album bewegt sich die nordamerikanische Komponistin Sarah Davachi in der Alten Musik, der Minimal Music der 1960er Jahre sowie im gegenwärtigen Klang-Prozessieren. Baff machende Reibung entsteht.

Mittendrin, etwa in „Icon Studies I“, stellt sich das Begreifen ein: hier entsteht Musik von neuer Schönheit, einer Schönheit, die sich aus einem zerstückelten Begriff von Zeit speist. In diesem kurzweiligen 12-Minuten-Stück vergeht die Zeit sehr, sehr langsam, das Hören benötigt diese Dauer, und vermag zu entziffern, ähnlich wie der Sehsinn ein Bild entziffern kann. Das Hören kann den Harmonien folgen und ihrem langsamen Vergehen, und ebenso den vertikalen Bewegungen, Tonhöhe rauf Tonhöhe runter, wie es eben möglich ist beim Betrachten etwa einer orthodoxen Ikonographie.

Diese Flexibilität in der Komposition, dieses Springen zwischen hier und dort, zwischen Gegenwart und Vergangenheit zeigt sich bereits in der Eröffnung. Die in Kanada aufgewachsene und derzeit in Kalifornien lebende Komponistin benennt mit „Hall Of Mirrors“ das Eröffnungsstück quasi mit ihrer Arbeitsweise, mit allen Spiegelungen in die Unendlichkeit und Abbildungsverformungen, die solch einen Spiegelsaal charakterisieren. Im Folgestück „Alas, Departing“ bearbeitet sie das Lied „Alas Departynge is Ground of Woo“ aus dem 15. Jahrhundert des europäischen Mittelalters, indem sie Stimmgruppen aufteilt, vereinzelt, hintereinander schiebt, jedoch immer mit einer Re-Konstruktion der Dekonstruktion im Auge behält: die bereits eingangs beschriebene, zeitgemäße Schönheit mitsamt einem molekularen Zeitbegriff.

Die Reife der beiden ersten Arbeiten durchzieht das komplette Album, das so zu einer meisterlichen Arbeit der elektronischen Musik des Hörens heranreift: ein vielstimmiges und dennoch homogenes Klangwerk aus elektrischer Orgel, Viola, Cello und Singstimmen; eine hochkonzentrierte Bewegung weg von den ach so einstudierten Alltagshandlungen und ihren Verständnissen von Zeit und Action.

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